Main-Post, Würzburg, 10. Dezember 2004

"Zwei Stunden mehr arbeiten, das schaffen wir"

Interview mit Rainer Brüderle

Deutschland in der Krise, Deutschland im Reformstau? Rainer Brüderle, stellvertretender Vorsitzender der FDP und Bundestagsabgeordneter der Partei, sprach zum Thema "Weg aus der Krise" auf Einladung der Liberalen Hochschulgruppe an der Uni Würzburg.

Frage: Herr Brüderle, wir sind mitten in der Legislaturperiode und die nächste Bundestagswahl 2006 rückt schon ins Blickfeld. Sind Sie für eine klare Koalitionsaussage?

Rainer Brüderle: Ja, ausdrücklich. Für mich kommt im Bund nur eine bürgerliche Koalition mit den Unionsparteien in Frage. Rot-Grün hat sich ja schon festgelegt. Damit sind die Verhältnisse klar.

Sie müssten dann aber mit der Union über die Gesundheitsprämie verhandeln, die gerade auf dem Parteitag in Düsseldorf abgesegnet wurde.

Brüderle: Ich zitiere mal Friedrich Merz, der sagt: Das wird nie Gesetz. Für die FDP sage ich: Das ist mit uns nicht zu machen. Die Gesundheitsprämie ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Alle Ziele, die sich die Union gesetzt hat - mehr Flexibilität, mehr Markt - erreicht sie nicht. Das ist ein typischer Formenkompromiss zwischen zwei Parteien, die zwar Schwestern sind, aber nicht immer brüderlich mit einander umgehen.

Wie wollen Sie die Gesundheit wieder bezahlbar machen?

Brüderle: Nach dem Vorbild der Autoversicherung: Jeder braucht eine anständige Grundversorgung, die er auf dem freien Markt abschließen kann, und darüber hinaus kann er entscheiden, was er will.

Es gibt immer mehr Stimmen, die sagen: Hört auf mit dem Schlechtreden, mit der Reformideologie, die nur Einschnitte mit sich bringt. Reform heißt doch, dass es hinterher allen besser geht. Wie verteidigen Sie sich?

Brüderle: Reform ist ein positiver Begriff, er wird aber inzwischen missbraucht, weil alles, was halbherzig oder falsch gemacht wird, auch unter dem Titel läuft. Ich denke da vor allem an die Bundesregierung. Die Menschen sind das inzwischen leid. Wir müssen ehrlicher mit ihnen reden und schauen, dass es gerecht dabei zugeht.

Die FDP als Partei der sozialen Gerechtigkeit? Wie verstehen Sie den Begriff?

Brüderle: Gerechtigkeit heißt für mich nicht, den Kuchen anders zu verteilen, sondern den Kuchen größer zu machen, damit jeder ein größeres Stück bekommt. Die deutsche Wirtschaft muss wieder wachsen! Wir können das doch, wird sind doch gut! Aber die Bundesregierung macht offenbar nichts mehr, sie zelebriert nur noch das bisschen Reform, was sie beschlossen hat.

Der Armuts- und Reichtumsberecht zeigt, dass man sich um die Reichen keine Sorgen machen muss. Wie kann man sie dazu bringen, sich stärker am Sozialstaat zu beteiligen?

Brüderle: Es muss für sie attraktiv sein, hier zu investieren. Wir können keine Investitionen erzwingen. Dazu muss die Steuer- und Abgabenlast runter, die Bürokratie muss weg. Die großen Firmen gehen doch nicht aus Böswilligkeit nach China, sondern weil sie dort bessere Bedingungen finden.

Aber wir können doch mit den dortigen Löhnen nie konkurrieren . . .

Brüderle: Nein, wir werden Einfachprodukte verstärkt von dort beziehen. Es ist nicht tragisch, wenn wir Gewerbezweige verlieren. Strukturwandel ist notwendig. Tragisch ist, dass bei uns nicht Neues nachwächst: Dass die, die investieren könnten, nicht höherwertige Arbeitsplätze schaffen oder Geld in die Forschung stecken. Ökonomie hat mit Rechnen zu tun, die Firmen bleiben hier, wenn die Bedingungen stimmen.

Müssen unsere Löhne runter?

Brüderle: Dort, wo wir in den Lohnkosten nicht konkurrenzfähig sind, würde ich nicht die Löhne kürzen, sondern die Arbeitszeiten erhöhen. Denn die Menschen müssen mit ihren Löhnen hier leben und wir brauchen auch die Kaufkraft. Aber zwei Stunden mehr arbeiten ohne Lohnausgleich, das schaffen wir.

Um die FDP ist es still geworden. Warum hört man so wenig von Ihnen?

Brüderle: Vielleicht weil manche Medien lieber über den Streit in der Union und die Mißgeburt von Gesundheitsprämie berichten, als über die klaren und überzeugenden Modelle der FDP. Wir sind schon fleißig, vielleicht müssen wir manches in einem guten Sinn radikaler zuspitzen. Man darf aber nicht zu viel Schaumschlägerei machen und die Welt in drei Sätzen erklären wollen.

Das Gespräch führte Ludwig Sanhüter